Warum Venedig die schönste Stadt der Welt ist
Venedig gilt als „La Serenissima“, als die „Durchlauchtigste“ aller Städte dieser Erde. Zurecht! Auf der anderen Seite ächzt die Stadt unter dem Massentourismus wie kaum eine andere. In Venedig treffen Prunk und Reichtum, Handel und Tourismus, Ausverkauf und Verklärung so aufeinander wie nirgendwo sonst.
Ein Gastbeitrag von Thomas Michael Klotz
Über 100.000 Touristen zieht Venedig an manchen Tagen an. Die verdrecken die Stadt, überlasten die Kultureinrichtungen und lassen kaum Geld dort. Ist Venedig deswegen am Limit? Oder schon darüber hinaus? Kann man dennoch schöne Tage dort verbringen? Aber ja! Dafür sollte man seinen Blick auf andere Dinge richten als die typischen Fotos, die man zu Hause herzeigen möchte. Es gibt so viele Facetten, so viele Eigenheiten, die einen nicht mehr loslassen.
Die Venezianer
Möchte man sich am Vaporetto-Ticketschalter ein biglietto besorgen, kommt man sich vor wie ein Bittsteller. Unmotiviert und übel gelaunt wird man im typischen Italienisch-Englisch angeschnauzt. Von einem mit dem Level A2 abgeschlossenen VHS-Italienisch-Kurs lassen sich die Venezianer nicht beeindrucken. Ihren venezianischen Dialekt versteht man außerdem sowieso nicht. Auch darf man nicht erwarten, dass einem der günstigste Tarif aufgezeigt wird.
Die Venezianer sind der Abermillionen Touristen überdrüssig: im Vaporetto-Ticketschalter, in den Restaurants, in den Sehenswürdigkeiten. Damit muss man rechnen. Deswegen gibt sogar Ideen, die Anzahl der Touristen zu begrenzen.
Jedoch gibt es auch diese Momente: Nachdem ich schon wieder falsch abgebogen bin und mich inmitten der altehrwürdigen Häusern doch ein wenig verlassen fühle, stoße ich auf den kleinen Kaffeeladen „Girani caffè“. Eine alte Venezianerin empfängt die wenigen Kunden, die sich auf den Campo Bandiera e Moro verirrt haben, mit einem Lächeln. Ihre Augen funkeln freundlich unter einer Brille mit Goldkette hervor. Hinter dieser kleinen, hageren Gestalt stehen vier große Metallbehälter voller Kaffeebohnen, die den Laden mit ihrem Duft erfüllen.
Mit viel Geduld erklärt mir die Venezianerin, welcher Espresso für welchen Geschmack der beste sei. In Italien handelt es sich hierbei um eine Wissenschaft. Ich entscheide mich für die „Miscela Fassina. Super Dolce“. Meine Rechnung schreibt die alte Dame von Hand und verabschiedet mich, als ob man sich bereits seit Jahren kennt. Es gibt sie also doch, die netten Venezianer. Man muss sie nur suchen. Oder zufällig finden.
Die Sehenswürdigkeiten von Venedig
Natürlich gehören der Dogenpalast und die Rialto-Brücke dazu. Dabei darf man sich nicht wundern, wenn man an diesen touristischen Anziehungspunkten nicht alleine ist: Menschen aus aller Herren Länder, Rosenverkaufer, Selfie-Stick-Verkäufer schieben sich durch die Gassen und Gebäude.
Jedoch gibt es auch Sehenswürdigkeiten, die man selbst entdecken muss: Der Zugang zu den herrschaftlichen Häusern, den palazzi, bleibt den Touristen im Normalfall verwehrt. Doch während der Biennale beherbergen einige von ihnen verschiedene Länder-Ausstellungen. Luxemburg zum Beispiel wird im Pallazo Ca‘ Del Duca, Corte del Duca, Sforza San Marco 3052, repräsentiert. Man bekommt dort neben einer kostenlosen Kunstausstellung auch einen Einblick in vergangenen Jahrhunderte, als reiche Handelsmänner mit ihren Familien in den nobel ausgestatten Häusern direkt am Kanal lebten.
Natürlich ist auch der venezianische Karneval weltberühmt. Doch auf die sündhaft teuren Veranstaltungen kommen nur die wenigsten. Am besten, man setzt sich in ein Café, das nicht allzu weit vom Markusplatz entfernt ist (z.B. Bacaro Risorto am Campo San Zaccaria oder auch im Le Cafè am Campo Santo Stefan), und betrachtet die stolzen Venezianer, wie sie ihre wertvollen Kostüme auf offener Straße ausführen. Viele sind auch bereit, sich fotografieren zu lassen.
Außerdem bieten auch die vielen Inseln um Venedig tolle Ausflugsziele, wie beispielsweise Märkte, Glasbläsereien auf der Insel Murano oder viele bunte Häuser auf Burano.
Das kulinarische Angebot in Venedig
Wie bereits angedeutet: Die meisten Venezianer rechnen nicht damit, ihre Gäste öfter als einmal zu sehen. Deswegen verzichten viele nicht nur auf Höflichkeiten, sondern auch auf Service und Qualität des Essens. Besser kommt weg, wer sich in Bars und Restaurants aufhält, die auch von Italienern besucht werden.
Oder man geht dort essen, wo noch viele „echte“ Venezianer leben, zum Beispiel am Lido. Dort gibt es die besten Pizzas der Stadt. Und auch Fischrestaurants in sämtlichen Preisklassen sind dort zu finden. Gut und günstig kann man beispielsweise im Al Cicchetto (76 Lungo Mare Marconi Guglielmo) essen.
Der Aperol Spritz, der in Venedig erfunden wurde, ist das Lieblingsgetränk der Venezianer (neben dem Espresso). Mehr als drei Euro sollte man hierfür allerdings nicht bezahlen, sonst ist man entweder in einer Touristenklitsche oder einer Nobelbar gelandet. Auch hier gibt es einige empfehlenswerte Bars in der Stadt (z.B. Sestante am Campo San Zaccaria oder Birreria Forst in der Calle del le Rasse, wo übrigens viele Gondoliere trinken und speisen) und am Lido (z.B. Bar Maleti Giorgio, Gran Viale S. M. Elisabetta, 47)
Das Aqua Alta
Das Hochwasser gehört für viele Touristen zum Highlight ihrer Reise nach Venedig. Jedoch gibt es nicht immer, und schon gar nicht regelmäßig, Überflutungen. Durch große Pfützen am Markusplatz zu hüpfen oder über Stege durch die Gassen zu laufen, macht dennoch Spaß.
Das MOSE-Projekt soll die historische Altstadt künftig vor den Überschwemmungen schützen. Die Schäden sind immens, die Instandhaltungskosten riesig. 2017 – und damit einige Jahre zu spät – soll das Projekt fertig werden. Zwischenzeitlich gab es bei dem 5,5 Milliarden Euro teuren Projekt Terminverschiebungen und Korruptionsskandale, in die auch der ehemalige Bürgermeister der Stadt, Giorgio Orsoni, verwickelt war.
Doch bis das MOSE-Projekt abgeschlossen ist, werden sich noch viele Touristen über Gummistiefel-Bilder freuen.
Das Lebensgefühl
Ja, die Kanäle können stinken. Ja, es gibt viele Ratten in Venedig. Ja, es sind derzeit zu viele Touristen in Venedig. Dennoch hat diese Stadt ein ganz bestimmtes, einzigartiges Flair. Die Venezianer strahlen etwas Sonderbares, etwas Wunderbares aus. Sie lassen sich nicht beirren von allen negativen Dingen dieser Stadt. Sie genießen ihr Leben dort. Mit „Spritz al Aperol“ und Espresso. Mit Meeresfrüchten und Croissants. Mit Karneval-Kostümen und Menschenmassen.
Leider lassen immer weniger Menschen Geld in der wunderbaren Stadt, einem UNESCO-Weltkulturerbe. Große Kreuzfahrtschiffe legen am privatisierten Hafen an, laden Scharen von Touristen aus – und verköstigen sie am Abend. Immer weniger Geschäfte und Restaurants können sich so über Wasser halten und die, die bleiben, sind kaum mehr bezahlbar. Deswegen sollte man in Venedig stets abseits der Touristenstraßen gehen und sich in kleinen Bäckereien, Restaurants und Cafés verköstigen. Nur so hat die „Serenissima“ eine Chance, auch weiterhin zu überleben. Und als Tourist entdeckt man mehr als das Standardprogramm Rialto-Brücke, Markusplatz und Caffè Florian.
Vielen Lieben Dank für die tolle infos.
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