Touristenfalle oder Bergidyll – Alpenüberquerung auf dem E5
Im Jahre 218 v. Christus überquerte der karthagische Feldherr Hannibal mit seinem Heer und unzähligen Kriegselefanten die Alpen. Er brauchte dafür 16 Tage. Wir haben es in 11 geschafft. Unsere Alpenüberquerung auf dem E5.
Der Zug fährt in dem kleinen bayerischen Dorf ein, die Türen öffnen sich, ich steige aus. Gewaltig ragen die Felsberge hinter dem Örtchen in den Himmel. Die spitzen Gipfelzacken scheinen die am saphirblauen Himmel hängenden Wolken geradezu aufzuschlitzen. Die Alpen. Das größte geologische Hindernis zwischen dem grauen, spießigen Deutschland und dem gelobten Land, wo die Zitronen blühen. Italien. Jeder Bergsteiger denkt früher oder später darüber nach dieses gewaltige Bergmassiv zu überqueren. Seit 1972 gibt es einen direkten Weg hindurch: Den europäischen Fernwanderweg E5.
Der E5 wurde am 2. Juli 1972 eröffnet. Er führt stolze 3000 Kilometer von Pointe du Raz am westlichsten Festlandpunkt Frankreichs über Konstanz am Bodensee bis nach Verona in Norditalien. Der beliebteste Streckenabschnitt ist allerdings die direkte Alpenüberquerung von Oberstdorf nach Bozen. Hierbei geht es in zehn Etappen insgesamt 10.000 Höhenmeter hinauf und 9.800 wieder hinunter. Man durchschreitet auf der 140 kilometerlangen Strecke 5 Bergketten und 6 Alpentäler. Kurz gesagt: ein Wahnsinn.
Die kleine Gemeinde Oberstdorf ist den meisten wohl aus dem Fernsehen von der allseits beliebten vier-Schanzen Tournee der Skispringer bekannt. Aber auch sonst ist dieses kleine Dorf im Allgäu recht hübsch. Es stellt den Startpunkt der 10tägigen Wanderung durch das Alpenmassiv dar. Von hier aus starten auch die geführten E5-Touren. Hier auch eine ausführliche Beschreibung der Etappen.
Touri-Horror: Die geführten Touren
Das ist nämlich der Klassiker, den die Bergschulen hier anbieten: In 6 oder 7 Tagen von Oberstdorf nach Meran. Es empfiehlt sich allerdings nur für Bergsteiger-Anfänger die Bergschulvariante zu wählen, denn: Hier darf jeder mit, Hauptsache er zahlt. Es gibt lediglich einen Hinweis auf der Homepage, dass die Tour irgendwo zwischen „mittel“ und „anspruchsvoll“ liegt. Das wars. Und das rächt sich. „Ja mei, ich schick dann auch Leute von den Hütten wieder ins Tal zurück, wenn ich merk, dass sie es nicht schaffen“, erklärt Andrea, eine Bergführerin aus Südtirol.
Auf meiner Alpenüberquerung will ich selbst das Tempo angeben, selbst bestimmen, wo ich Pause mache und wo ich schlafe. Also kommt die geführte Tour für mich und meine Freundin nicht in Frage. Wir organisieren alles selbst. Ich habe schon einige Tage vorher alle Hütten durch telefoniert um herauszufinden, wo wir noch einen Platz im Schlaflager finden. Wir haben uns entschieden den klassischen E5 Weg zu gehen. Die beliebte, kürzere Variante nach Meran klang in den Beschreibungen schon sehr „Touri-mäßig“. Und genau das kann ich beim Wandern gar nicht haben.
Die erste Etappe von Oberstdorf hinauf in die Lechtaler Alpen zur Kemptner Hütte sind ein erster Belastungstest. Gleich auf der ersten Etappe bereut man jedes Gramm zu viel im Rucksack. Wir wollten die Tour an den studentischen Geldbeutel anpassen, daher hatten wir viel Proviant dabei. Die zwei Boxen mit Brot, Marmelade, Käse und Wurst machen ziehen ordentlich an den Schulterriemen. Wer sparen will, muss leiden. Unser Timing ist perfekt. Nach circa 5 Stunden erreichen wir die Hütte. Nur zehn Minuten später öffnet der Himmel seine Schleusen und es regnet was das Zeug hält.
Tus, tus, tus – wir fahren mit dem Bus
Am zweiten Tag der Alpenüberquerung auf dem E5 trennt sich die Spreu vom Weizen. Wer ist ein Bergsteiger und wer ein Berg-Tourist. Nach dem Abstieg ins Tal nach Holzgau hat man drei Möglichkeiten um ans hintere Ende des Madau-Tals zu gelangen: 15 Kilometer zu Fuß, den Bus nehmen und 10 Kilometer zu Fuß oder mit dem Taxi durchfahren. Wir haben uns für den Bus entschieden. Das Madautal ist landschaftlich sehr reizvoll. Aber schätzungsweise 80% der Wanderer haben nichts davon gesehen. Für den sportlichen Preis von 15 Euro pro Person wurden sie in kürzester Zeit zum Beginn des Aufstiegs zur Memminger Hütte transportiert. Wenn die wüssten, was sie verpassen. Denn das Bergsteigen macht ja nicht nur das Gefühl am Gipfel aus. Schon auch. Sicherlich. Aber der Weg dorthin, das gleichmäßige, schon fast meditative „einen Fuß vor den anderen setzen“, kurz –der Genuss des Gehens – dieses Erlebnis fehlt dann halt.
Nachdem wir das Madautal bis zum Ende gelaufen waren erreichten wir die Materialseilbahn. Die Teilnehmer der geführten Touren lassen sich hier ihre kiloschweren Rucksäcke nach oben fahren, nachdem sie aus dem Taxi gestiegen sind. Unser Triumph des Tages: Auf halber Strecke zur Memminger Hütte holen wir sie ein. Nicht ganz ohne Schadenfreude stellen wir nach Erreichen der Hütte fest, dass die Gruppe wohl einen Regenschauer abbekommen hat.
Das Schlafen auf Berghütten ist für den, der es nicht gewohnt ist, eine Umstellung. 20-40 Leute schlafen gemeinsam in Bettenlagern, dicht an dicht. Im Schnitt hat jeder 80cm Platz. Frieren muss hier also niemand. Wer beim Rucksack packen an die Oropax gedacht hat, wird jetzt belohnt. Unter 40 Leuten ist immer einer dabei, der schnarcht.
Der lange Weg bergab
Wer das Wort Alpenüberquerung hört denkt an luftige Höhen, fantastische Gipfelblicke und schneebedeckte Hänge. All das ist wahr und richtig. Allerdings machen diese Grenzmomente nur etwa 20% der Tour aus. Denn: Es heißt ja Alpenüberquerung. Und die Alpen bestehen ja bekanntermaßen aus mehreren Bergkämmen. Also muss jeder Kamm der erklommen wird, auch wieder hinunter gestiegen werden. Das merkten wir schmerzlich an Tag 2 und 3. Also dem Abstieg nach Holzgau von der Kemptner Hütte und nach Zams von der Memminger Hütte. Der Abstieg nach Zams zieht sich über rund 5 Stunden, in denen man knapp 2000 Höhenmeter absteigt. Und das habe ich auf dieser Tour gelernt. Lange Abstiege sind um Welten anstrengender als Aufstiege, denn bei jedem Schritt muss man den ganzen Körper abfangen und bremsen. Da schmerzen bald Schenkel und Gelenke.
Von Zams aus geht es dann über den Venet nach Wenns. Von dort aus hat man mehrere Optionen: Das ganze Pitztal zu Fuß durchqueren, was circa 20-25 Kilometer wären, oder doch – hier fanden wir das echt ok – mit dem Bus bis Mittelberg zu fahren. Ab Mittelberg geht es dann über die Gletscherstube hinauf zur Braunschweiger Hütte.
Foto-Slide zur Alpenüberquerung auf dem E-5
Ein weiterer Punkt, der bei der Planung einer Alpenüberquerung auf dem E5 wohl überlegt sein will ist: Auf Berghütten, die meist vom Alpenverein betreiben werden, ist das Übernachten recht günstig. Zwischen 8 Euro und 12 Euro zahlt man im Bettenlager. Ist man gezwungen im Tal zu übernachten, sucht man solche Preise vergeblich. Unser Tipp also: Wenn es geht auf den Berghütten übernachten und – Mitglied im Alpenverein werden. Den Mitgliedbeitrag für das erste Jahr hat man mit den Ersparnissen der Alpenüberquerung locker wieder drin – neben allen anderen Vorteilen wie Versicherung, Bergrettung, Kartenmaterial, etc.
Aufgrund dessen, dass die Braunschweiger Hütte und die Gletscherstube beide keine Lagerplätze mehr frei hatten, haben wir in einer kleinen Pension zwischen Wenns und Mittelberg übernachtet. Hier zahlt man dann über 20 Euro pro Person, allerdings mit reichhaltigem Frühstück. Allerdings ist so ein echtes Bett und eine warme Dusche zwischendurch auch mal eine echte Belohnung.
Die geballte Hässlichkeit- Skigebiete im Sommer
Für den Aufstieg zur Braunschweiger Hütte gibt es mehrere Varianten. Wir entschieden uns für die „Wasserfall-Route“. Eine andere Möglichkeit wäre die Baustraße, denn am Pitztaler Gletscher, der sich imposant über dem Pitztal erhebt, wird immens viel gebaut und gebaggert. Das Gebiet ist im Winter ein reizvolles Skigebiet. Also kann man sich auch eine Fahrstraße, die eigentlich für den Bauverkehr gedacht ist, mit den LKWs teilen.
Tags drauf führt der Weg über das Pitztaler Jöchel, wir sind hier kurzzeitig über 3000 Meter, hinüber in die geballte Hässlichkeit. Nach der Durchquerung eines Schneefeldes hat man eine phänomenale Aussicht auf Tonnenweise Beton, Skiliftanlagen und Pistenbefestigungen: Das Skigebiet Sölden 2000 ist im Sommer an Hässlichkeit kaum zu überbieten. Der Wanderführer hatte das etwas diplomatischer angekündigt: „Selbst eingefleischte Skifahrer kommen da ins Grübeln“. Und man muss sagen: Jep. Unglaublich. Nach knapp einer Woche in der schönsten Bergwelt und Natur diese Aussicht – das tut fast schon weh.
Im Tal angekommen wartet mit der „Talherberge Zwieselstein“ eine der wenigen Alpenvereinshütten auf uns, die nicht in luftiger Höhe bewirtschaftet wird. Das ist gut für den Geldbeutel.
Bella Italia? Südtirol!
Nach dem Aufstieg zum Timmelsjoch – berühmt durch die zwei beiden überdimensionalen Stühle, wobei der eine auf der österreichischen, der andere auf der Italienischen Bergseite steht, fühlt sich Bozen – das Ziel der Tour – für uns schon sehr greifbar an. Bis dorthin sind es allerding noch 3 oder 4 Tage – je nachdem wie sportlich oder entspannt man das ganze angeht. Wir haben es in 4 Tagen gemacht – ein bisschen Urlaub muss sein.
Doch merkt man schon: der schwierigste Teil ist jetzt vorbei. Die Höhenunterschiede, die innerhalb der Etappen überwunden werden müssen, werden kleiner. Und alles wird irgendwie gemütlicher. Die Etappen, die Hüttenabende, die Menschen. Wobei man sich hier hüten muss: Keinesfalls sind diese netten, zuvorkommenden aber auch etwas eigenen Menschen hier Italiener. Sollte man Todessehnsucht haben bezeichnet man sie als eben diese – aber nein: Die Bewohner der kleinen oder großen Dörfer, der Hütten und der Höfe – das sind die stolzen Südtiroler.
Nach dem Abstieg vom Timmelsjoch erreichten wir Moos und damit eines der ersten Dörfer des berühmten Passeiertales. Von hier aus geht es über die Pfandler Alm, wo sich der berühmte Südtiroler Volksheld Andreas Hofer versteckte, und später verhaftet wurde, zur Hirzer Hütte unterhalb der Hirzer Spitze.
Das Ziel vor Augen
Wie eingangs erwähnt biegen ab der Braunschweiger Hütte die meisten E5-Wanderer und Gruppen in Richtung Similauen ab. Also die kürzere Route Richtung Meran. Das hatte für uns aber auch den schönen Nebeneffekt, dass wir seit der Braunschweiger Hütte jeden Abend die gleichen Leute um uns herum hatten. Wir waren eine recht lustige Truppe: Ein Ärzte Ehepaar aus dem Niederrhein-Gebiet, drei Ikea-Mitarbeiter, die zusammen Urlaub machten, und wir. Natürlich waren noch viele andere Wanderer unterwegs, aber wir 7 hatten dieselbe Route und das gleiche Ziel: Bozen.
Von der Hirzer Hütte ging es – Landschaftlich sagenhaft – hinüber zur Meraner Hütte, vorbei am angeblich tiefsten See der Alpen. Ein letztes Mal abseits der Zivilisation nächtigen, ein letztes Mal überteuerten Kaiserschmarrn, ein letztes Mal den Alpenvereinsausweis zeigen – dann ging es am nächsten und letzten Tag der Tour hinab ins Tal. Nach Bozen. Bozen ist übrigens die erste richtige italienische Stadt. Das sagen auch die Südtiroler. Deswegen konnten wir dort auch zum ersten mal so richtig sagen: „Hey- jetzt sind wir in Italien.“
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Ein lesenswerter und appetitmachender Rückblick auf eine sicherlich wunderbare Tour. Ich wollte auch den E5 laufen, habe aber dann doch eine andere Route gewählt, weil ich immer wieder hörte, der E5 sei sehr stark frequentiert. So bin ich die Route Birgsau – Tirol – Engadin – Vinschgau gelaufe, allerdings in einer Gruppe. Insgesamt waren wir 12 Wanderer plus ein Bergführer. Eine kleinere Gruppe wäre mir lieber gewesen. Und es stimmt: die Information über die körperlichen und technischen Herausforderungen sind mit lediglich 3 Kategorien unzureichend. Wer keine Bergerfahrung hat, kann sich darunter wenig vorstellen. Lediglich bei älteren Menschen (60+) wird – zumindest bei der von mir gewählten Bergschule – vorher etwas intensiver nachgeforscht, ob die Fitness ausreicht. Allerdings wurde auch ein zweitägiger Kurs „Trittsicherheit und Schwindelfreiheit“ angeboten. Den habe ich mitgemacht. Das gab mir mehr Sicherheit und Selbstvertrauen.
Mitunter fragte ich mich: Warum machst du das alles? Die Antwort gaben dann die Berge selbst. Ganz gleich, ob bei Sonnenschein, im strömenden Regen oder im dichten Nebel – es war wunderschön. Aber mehr Zeit hätte ich mir gewünscht, um diese wunderbare Landschaft noch intensiver zu spüren, zu genießen. Nur: alleine hätte ich mir die Tour nicht zugetraut. Manchmal mussten wir die markierte Route verlassen und Gefahrenstellen umgehen – ohne Kenntnis der Strecke ein Risiko.
Was sich leider bei solchen Touren nicht oder nur selten vermeiden lässt, ist die Übernachtung im Massenquartier. Auch die Ohrstöpsel haben mir nicht zu einem ruhigen Schlaf verholfen. Zum Glück gibt es auch Hütten mit kleineren Einheiten. Und mitunter tragen die Hüttenwirte auch dazu bei, den Aufenthalt angenehm zu machen. Nun überlege ich, im kommenden Jahr wieder auf Bergtour zu gehen – vermutlich wieder in einer Gruppe.
Lieber Heiner,
danke für dein Feedback.
Deine Tour klingt ja auch toll! Vielleicht machen wir die auch mal…
Und in so einer Gruppe hat man natürlich andere Vorteile. Das klingt auch nach einer guten Erfahrung!
Vielleicht machst du noch eine größere Tour in einer Gruppe und dann startest du mal alleine (oder mit Freunden/Familie) eine Tour, als neue Herausforderung?
Der E5 ist wirklich sehr gut ausgeschildert und beschreiben – da kann man eigentlich nicht falsch laufen! Das würdest du denke ich auf jeden Fall gut hin bekommen.
Danke für deine Erfahrungen. Und schreibe uns gerne jederzeit, wenn du Fragen hast.
Liebe Grüße
Andrea
von den 2 Abenteurern