Verbranntes Benzin – der Geruch von Freiheit

Der Winter naht und damit das Ende der Motorrad-Saison. Für zwei oder drei Monate werden die Zweiräder in den Schuppen gestellt und müssen in den Winterschlaf. Aber was das für einen eingefleischten Motorradfahrer wie Wolfgang Krinninger bedeutet, können sich die wenigsten vorstellen.

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Einsam steht die BMW R1200R im Heizungskeller.

Vorsichtig schiebt Wolfgang Krinninger seine schwarze BMW R1200R in den Heizungskeller. Die Maschine bis zur letzten Schraube blitzblank geputzt. Funkelnd und glänzend steht sie im grellen Neonlicht des warmen Kellerraums. Wehmut liegt in Krinningers Blick. Gerade hat er die letzte Fahrt dieser Saison absolviert. Ganz bewusst. Jetzt muss er sein Mädchen in den Winterschlaf verabschieden.

Seit über 30 Jahren ist Wolfgang Krinninger ein Biker mit Leib, Herz und Seele. Wenn man behauptet, es gibt Menschen, mit Benzin im Blut Wolfgang Krinninger gehört dazu.“Mit 12 bin ich das erstemal auf einem motorisierten Zweirad unterwegs gewesen. Das weiß ich noch wie heute. Mit dem Mofa vom Nachbarn. Und dann in den Misthaufen. Seit dem war toi, toi, toi nix mehr.” Ein Grund dafür ist sicherlich auch seine Erfahrung. Mit 14 Jahren hatte Krinninger sein erstes eigenes Zweirad. Ein 3-Gang ZündappMofa. Mit 16 kam die erste große Tour. An den Bodensee, in die Schweiz und wieder heim. Den Duft der Freiheit sog der junge Mann mit tiefen Zügen in seine Lunge ein.

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Wolfgang Krinninger präsentiert stolz sein Traumbike.

Es folgten Touren nach Italien, Frankreich, in die damalige Tschecheslowakei und in den Norden. Als dann die Familie wuchs, wurde es immer weniger. Doch seit vier Jahren hat Wolfgang Krinninger jetzt sein Traum-Bike. Und damit hat er noch viel vor. “Die USA würden mich echt noch reizen. Die Route 66 und der Highway 1. Ganz klassisch.” Umso mehr gleicht der Weg, den er sein Motorrad in den Heizungskeller schiebt, dem Weg zum temporären Schafott. Nach der letzten Fahrt, die Wolfgang Krinninger Jahr für Jahr noch bewusster fährt als sonst, nimmt er sich Zeit.

Ein furchtbarer Moment

Die Maschine wird noch ein letztes mal komplett vollgetankt. Bei Stahltanks macht das deswegen Sinn, weil sich durch den Temperaturunterschied Kondenswasser an der Tankinnenseite bilden kann. Und das kann wiederum Rost bedeuten. Mit Pflegemittel bearbeitet Krinninger liebevoll die Sitzbank und die Kunststoffteile seiner BMW. Der Bordcomputer der 1200er zieht immer ein bisschen Strom. Deshalb wird die 1200er über den Winter an das Batterie-Erhaltungsgerät angehängt. Und mit einem Eimer, mit Lappen und Schwämmen geht Wolfgang Krinninger ans Werk. Das ganze Motorrad wird von vorne bis hinten geputzt, poliert und gestreichelt, solange bis auch die letzte Speiche glänzt und sich Krinningers eisblaue Augen im nachtschwarzmetallic Tank der BMW R1200R spiegeln. In diesen Augen liegt Wehmut. Er verabschiedet sich für ein paar Monate von seinem Gefährt(en). “Ein furchtbarer Moment”, sagt Krinninger. Und so gern und oft der Niederbayer Späße macht und spitzbübisch grinst hierbei ist er ganz ernst.

Hier geht es um die Freiheit.

Das Motorradfahren ist eben nicht nur ein Hobby für den 49jährigen. Und der ein oder andere mag dieses Gehutschel und Reden von Wehmut und Abschied wie das verschrobene und schrullige Verhalten von Männern in der MidlifeCrisis vorkommen, doch der hat wohl noch nie das eine Gefühl erlebt: Wenn mit einer kleinen Bewegung der rechten Hand am Gasgriff das Vorderrad kurz, kaum merklich abhebt, das Motorrad bebt unter der gewaltigen Kraft stampfender, schwer schnaufender Kolben, der Körper nach hinten gedrückt wird, der Auspuff röhrt und schließlich brüllt und dir die laue Sommerluft des Fahrtwindes zuflüstert: “Du bist frei!”

413933_289324894484991_461809127_oNoch heute ist es dieses Gefühl, dass das Motorradfahren für Wolfgang Krinninger zur Lebenseinstellung werden lässt. “Es mag abgedroschen klingen. Aber ja, mir geht’s da um Freiheit. Du siehst alles, du riechst alles, du spürst, wenn dir der Regen ins Gesicht peitscht und wenn du heimkommst, bist du ein anderer Mensch.” Und dann ist es eben gar nicht seltsam oder komisch, wenn der gelernte Werkzeugmacher mit seinen großen Händen im Januar oder Februar heimlich mal in den Heizungskeller geht, die SchutzDecke herunterzieht und mit sehnsüchtigem Blick über das Heck, die Sitzbank, den Lenker streicht. Ab und an setzt er sich auch mal drauf. “Das kann man niemandem erklären”, sagt Krinninger. Bei diesen Worten bekommen seine Augen einen Blick, den man manchmal bei alten Freunden sieht, die zusammen Geschichten aus der alten Zeit erzählen. Es ist die Sehnsucht. Die Sehnsucht nach dieser einen Freiheit. Fragt man Krinninger, wie diese Freiheit denn riecht, hat er da eine ganz klare Antwort: “Das ist der Geruch von verbranntem Benzin. Da werden Erinnerungen wach. Immer wieder.”

Bilder: Wolfgang Krinninger

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