Wie die Fahrradbewegung in St. Petersburg kämpft

Wer in St. Petersburg lebt, lässt das Rad besser stehen. Viel zu gefährlich! Einige wagen es trotzdem und stürzen sich mutig zwischen die Pkw. Und langsam werden es mehr – eine Fahrrad Bewegung entsteht.

IMG_7872Auto an Auto, Bus an Bus – St. Petersburg ist eine Millionenmetropole mit sehr viel Verkehr. Da bleibt auf den Straßen kein Platz für Fahrradfahrer. Radwege gibt es kaum – nicht einmal markierte Fahrspuren. Das können wir Deutschen uns nicht vorstellen. Ich war in St. Petersburg und hab mit Radfahrern gesprochen. Die leben echt gefährlich!

Deutschlehrer Lev Ryazanovsky: "Ich genieße es mit dem Fahrrad zu fahren, vor allem nach einem ganzen Tag in stickigen Klassenzimmern."
Deutschlehrer Lev Ryazanovsky: „Ich genieße es mit dem Fahrrad zu fahren, vor allem nach einem ganzen Tag in stickigen Klassenzimmern.“

Einer, der sich trotz aller Gefahren in St. Petersburg aufs Rad wagt ist der 63-jähriger Deutschlehrer Lev Ryazanovsky. Egal wie lang die Strecke ist oder wie kalt es ihm um die Nase wird. Sportschuhe, Rucksack, Jogging-Hose und Outdoor-Jacke – so kann es für ihn täglich ab auf’s Rad gehen. Seit über 50 Jahren ist der 63-Jährige nur noch mit dem Rad unterwegs. Warum? Ein Auto hat er nicht und „außerdem bin ich mit dem Fahrrad in einer großen Stadt sowieso schneller am Ziel“, sagt Lev.

Lev ist einer der wenigen Radfahrer, die sich trotz der schlechten Bedingungen für Radfahrer auf die Straße traut: In St. Petersburg gibt es gerade einmal 30 km Radweg. In München, in einer Stadt, die gerade einmal ein fünftel so groß ist, gibt es zum Beispiel 500 km Radweg.

In St. Petersburg müssen sich die Mutigen entweder mitten auf die 6-spurige Straße stürzen oder auf dem Gehweg fahren. Beides keine guten Lösungen. Lev hält das nicht von seinem täglichen Abenteuer zurück: „Klar, es ist teilweise schon sehr gefährlich. Ich hatte schon viele Unfälle. Aber ich leben immerhin noch!“

Der Straßenverkehr ist zu gefährlich

Viele St. Petersburger haben jedoch Angst und fahren genau aus diesem Grund nicht mit dem Fahrrad. Seit 2012 kämpfen deshalb immer mehr Fahrrad-Aktivisten für sichere Wege und bessere Bedingungen für Radfahrer in St. Petersburg. Eine davon ist die 31-jährige Daria Tabachnikova. Sie ist Anführerin und Sprachrohr der “Velosipedization”-Bewegung. Eigentlich ist sie Ökonomin und macht gerade einen Master in Urbanistik.

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„Ein altes Fahrrad mit einem guten Fahrradschloss – und niemand wird es zu stehlen“, sagt Daria.

Natürlich versteht es sich für sie als Aktivistin von selbst, dass sie sich nur mir dem Fahrrad fortbewegt. Mit ihrem klapprigen blauen Fahrrad und ihrem großen Fahrrad-Korb ist sie fast täglich in der Stadt unterwegs. Funktionskleidung? Fehlanzeige. Sie trägt einen schicken Mantel und schwarze Stiefel mit hohen Absätzen. Typisch Russin eben. Sie gibt das perfektes Bild einer jungen engagierten Fahrradaktivistin ab: Sportlich und auf keinen Fall altmodisch.

Die Fahrradaktivisten sind in vielen Bereichen tätig. „Wir arbeiten mit der Stadtverwaltung daran, eine Fahrradinfrastruktur aufzubauen”, erklärt Daria: “Wir helfen aber auch, Fahrradständer zu entwerfen und sie in der Stapft aufzubauen.” Außerdem machen sie Werbung, um das Image des Fahrradfahrens zu verbessern und bieten Fahrradkurse an.

Denn Daria ist überzeugt: Würde es eine bessere Infrastruktur geben, würden auch viele Leute in St. Petersburg Fahrrad fahren. Denn das Potential eine große Fahrradstadt zu werden hätte St. Petersburg: „Die Stadt ist groß, aber nicht zu groß. Außerdem ist Petersburg sehr flach und weit – es gibt viele freie Flächen“, erklärt Daria: „So kann man auch im Stadtzentrum gut radeln. Sogar besser als in manch anderer europäischen Stadt, wie zum Beispiel Tallinn.“

Ein langer Kampf

Erste Erfolge konnte die Bewegung bereits erzielen: 16 Fahrradwege sind in Planung. „Es war ein harter Kampf, der sich aber gelohnt hat”, sagt Daria stolz. Seit 2012 kämpft sie mit mehr als 160 anderen Fahrrad-Aktivisten für eine fahrradfreundlichere Stadt. Was haben sie bereits erreicht? Der Fahrradverkehr in der Stadt hat sich vervierfacht und die öffentliche Meinung hat sich verändert: Von Ablehnung zu Unterstützung. Auf Facebook hat die Bewegung bereits 12.000 Unterstützter. Und es werden täglich mehr.

Denn Fahrradfahren ist laut den Befürwortern nicht nur umweltschonender und gesünder als andere Methoden, sondern auch noch schneller. Für die Strecke von 7,5 km bis zur Uni braucht Lev zum Beispiel nur 40 Minuten. Sein Rekord liegt sogar bei 20 Minuten. Mit dem Bus und der Metro bräuchte er mindestens eine Stunde für die gleiche Strecke.

Neben der immer weiter wachsenden Zahl an Fahrradfans sieht Daria jedoch noch etwas ganz anderes als großen Erfolg: „Die Politiker lachen nicht mehr, wenn sie das Wort „Fahrradweg“ hören.“ Anscheinend hat mittlerweile auch die Stadtverwaltung begriffen, dass sie etwas ändern müssen. In der sozioökonomischen und in der Verkehrsstrategie von St. Petersburg ist bereits eine spezielle „Fahrrad-Infrastruktur“ verankert.

Fahrrad Verleihsystem “Velobike“

Zwei Euro kostet ein Rad pro Tag
Zwei Euro kostet ein Rad pro Tag

Daria blickt stolz auf die bereits erzielten Erfolge. Gerade steht sie neben einem solchen Erfolg: Das städtische Fahrradverleihsystem “Velobike“. Seit Anfang Juli 2014 können St. Petersburger und Touristen von April bis Oktober ganz einfach Fahrräder für eine bestimmte Zeit mieten. Nach dem Beispiel anderer europäischer Projekte wurden Mietstationen eingerichtet, die mit Hilfe einer Kreditkarte und einem Smartphone genutzt werden können. Sehr einfach: Man holt sich das Fahrrad an einer Station, und kann es bei einer anderen Station wieder abgeben.

Gerade eben leihen sich zwei Jungs ein Fahrrad. Es geht sehr schnell: Nach zwei Minuten sitzen sie auf dem Rad und düsen davon. Andere Leute haben das Geschehen neugierig beobachtet und kommen nun auch näher um die Info-Tafeln zu lesen. Sie scheinen interessiert zu sein. Vyacheslav Petrov, Mitglied des Verkehrsausschusses sagt: “Ende 2014 waren bereits 12.000 Menschen im System registriert . Sie machten mehr als 24.000 Fahrten“. Heute, im Winter 2015 können die Bürger bereits 800 Fahrräder an 90 Fahrradverleihstationen in Sankt Petersburg ausleihen.

Neun Räder gibt es an jeder Station - für Touristen und Einheimische.
Neun Räder gibt es an jeder Station – für Touristen und Einheimische.

Ohne Daria und ihre Bewegung wäre dieses Projekt undenkbar gewesen. Sie organisierten die Finanzierung des Projektes und brachte diese Idee überhaupt erst zur Stadtverwaltung und den Politikern. Die Fahrradfahrer werden dann auch hoffentlich bald die neuen Radwege benutzten können. Laut Verkehrsausschuss werden noch dieses Jahr einige neue Radwege gebaut.

Es gibt noch viel zu tun

Daria ist schon sehr froh über all diese Entwicklungen, aber sie hat noch lange nicht genug: „Die allgemeine Verkehrspolitik fördert und unterstützt immer noch hauptsächlich die Autofahrer. Das wollen wir ändern!“, sagt Daria.

Für viele Russen gehören Fahrräder aufs Dorf oder den Kinderspielplatz. In der Stadt haben sie nichts verloren! Deshalb werden Radler in St. Peterburg oft von allen anderen Verkehrsteilnehmern gerne mehr oder weniger bewusst übersehen und missachtet. Daria weiß also: Sie haben noch viel zu tun!

So langsam wird das Radfahren in St. Petersburg cool
So langsam wird das Radfahren in St. Petersburg cool

Lev ist trotz der schlechten Bedingungen glücklich. Für ihn ist die Flusspromenade der perfekte Weg. Und das Fahrrad trotz allen Hindernissen das perfekte Verkehrsmittel in St. Peterburg. Doch auch er träumt davon, dass in 20 Jahren seine Stadt eine richtige Fahrradstadt sein könnte: „Mit Radwegen, Schildern, Parkplätzen und allem was eben dazu gehört.“ Und Daria wird auf jeden Fall für dieses Ziel kämpfen

Und bis es soweit ist wir Lev weiterhin jeden Tag 15 km bis zur Uni und zurück fahren. Ohne Radweg. Auf seinem kleinen blauen Klapprad. Mit dem geht es zwar nicht so schnell, aber er hat es ins Herz geschlossen. Das merkt man. Und irgendwie passt es zu ihm.

2 thoughts on “Wie die Fahrradbewegung in St. Petersburg kämpft

  • März 6, 2017 at 1:30 pm
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    Sehr interessante Geschichte, endlich mal ein Blog, den es sich zu lesen lohnt! Wir sehen uns in Bad Driburg? Viele Grüsse Der Gute Reisende!

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    • März 7, 2017 at 2:06 am
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      Danke für das Kompliment. Dann bis in Bad Driburg

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